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Kulturpreis Bezirk Niederbayern

Verleihung an die "IG biozertifiziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR"


Maria und Peter Gruber (2. und 3. v. l.) bei der Überreichung

Foto: Josef Regensperger

Festrede mit Laudatio des Bezirks­tags­präsidenten Dr. Olaf Heinrich anlässlich der Verleihung des Kulturpreises 2022 des Bezirks Niederbayern an die „Interessens­gemein­schaft biozertifiziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR“, vertreten durch Maria und Peter Gruber, am Dienstag, den 15. November 2022, 19.00 Uhr, im Festsaal des Bezirks­klinikums Mainkofen:

Wir verleihen heuer zum siebten Mal den Kultur­preis des Bezirks Niederbayern. Diese mit 6.000,- € dotierte Auszeichnung erhielten bisher:

  • Hubert Huber, der Vorsitzende des Berufs­verbands Bildender Künstler in Nieder­bayern, für sein jahrzehntelanges verbands­politisches Wirken;
  • der Verein Bluval e. V. für die Ausrichtung des gleichnamigen internationalen Bläser- Festivals in Straubing;
  • das Kunst- und Kulturforum „Glasbau e. V. Pfarrkirchen“ für seine Ausstellungs­tätigkeit sowie
  • Dynamo Kurzfilm e. V.“ für die Organisation und Durchführung des international renommierten „Landshuter Kurzfilm-Festivals“.

Daneben gab es auch Preisträger, die nicht unbedingt den Erwartungen eines allgemein verbreiteten Kulturverständnisses entsprachen. 2017 zeichneten wir einen Kleinunter­nehmer für seinen langjährigen Einsatz um die bairische Sprache aus. Das war eher ungewöhnlich – zumindest aus hochkultureller Perspektive.

Den Kulturpreis 2018 erhielt der Betreiber einer Edel-Landwirtschaft – ein „ Schweine­züchter“, der sich für den Erhalt einer alten Nutztierrasse engagiert. Diese Auszeichnung irritierte durchaus.
Was bei der anschließenden Diskussion aller­dings zu kurz kam, war ein ganz entschei­den­der Aspekt, nämlich die kulturhistorische Kompo­nente der Tierzucht: Das vom Wildtier heraus­gezüchtete Nutztier ist Produkt Jahrtausende währender Bemühungen des Menschen. Es ist Teil seiner kulturgeschichtlichen Entwicklung. Das mag dem „klassischen Kunstliebhaber“ vielleicht schwer nachvollziehbar erscheinen. Aber diese Sichtweise ist Standard der modernen Kulturwissenschaften. Denn besagte kultur­historische Entwicklung begann mit dem Übergang von der prähistorischen Sammler- und Jägerkultur hin zur sesshaften Ackerbauern- und Viehzüchterkultur, die ihre Zucht- und Kulti­vierungs­methoden über die Jahrtausende hinweg zu optimierten trachtete. Am Ende dieser langen Traditions-Kette steht die moderne Gesellschaft, nämlich wir, die wir in unserer hochtechnisierten Welt auf den Leistungen, Erkenntnissen und Errungen­schaften unserer Vorfahren aufbauen.

Freilich zeigt die rasante Entwicklung unserer Tage auch ihre Kehrseite: Die Industria­li­sierung der Landwirtschaft zeitigte u. a. Massen­tier­haltung, Hochleistungstierzucht und Hybrid­rassen. So müssen wir seit einiger Zeit um die Vielfalt der alten, strandort­angepassten und deshalb robusten Landrassen bangen. Diese stellen nicht nur eine wertvolle und unwieder­bringliche Genreserve dar. Mehr noch: Sie wurden – ebenso wie Kunstwerke und Denkmale – von Menschen geschaffen. Insofern stellen auch sie zweifellos Kulturgut dar – sogar im ursprünglichen Sinne des Worts „lebendiges Kulturgut“. Deshalb ist der Erhalt alter Nutz­tier­rassen heute auch als kulturelle Verpflichtung und kulturelle Leistung zu erachten.

2022 zeichnen wir nun Vertreter des regionalen Obstanbaus mit dem Kulturpreis des Bezirks Niederbayern aus. Ob dies wiederum Fragen aufwerfen wird, vermag ich nicht vorherzusehen. Bevor ich zu meiner Laudatio kommen, gestatten Sie mir daher, dass ich – quasi aus gegebenem Anlass – das Thema Kultur bzw. den modernen „weiten Kultur­begriff“ noch etwas vertiefe.

Woran denken kulturbeflissene Bürgerinnen und Bürger zuerst, wenn von Kultur die Rede ist? [Kleine Kunstpause!] …

Selbstverständlich – in der Regel an Kunstaus­stellungen, Opern- und Theaterauf­führungen, Konzerte und vielleicht noch an Literartur­lesungen. Solches fällt den meisten sofort zum Thema Kultur ein. Und so hat es sich auch im Wortsinn auch „eingebürgert“, mit Kulturpreisen zumeist namhafte Maler, Bildhauer, Schauspieler, Musiker, Literaten und Autoren auszuzeichnen.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch um präzise zu sein: Wir reden in diesem Zusam­men­hang ausschließlich von Kunstschaffenden. Kunst­schaffende, die mit ihrer Kunst an die Öffentlichkeit treten – sei es in Form von Bildern, Skulpturen, Kompositionen, Interpretationen oder literarischen Werken. All diese ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler bereichern unbe­stritten unser aller Leben. Aber – und darauf will ich hinaus – gleichzeitig engt man mit dieser Fokussierung auf Kunst das weite Feld der Kultur ein.

Um an dieser Stelle unseren Ltd. Kulturdirektor und Bezirksheimat­pfleger Dr. Max Seefelder zu zitieren. Er betont stets:
„Kunst ist Kultur. Aber Kultur ist mehr als Kunst!“ 
Im Zuge eines Gesprächs, das sich zwischen uns beiden gelegentlich ergibt, führte er einmal dazu aus:
Ich diskutiere in der Theater- oder Konzertpause bei einem guten Glas Wein gerne über die Inszenierung oder Interpretation des Darge­botenen – ebenso wie ich aus meinem Weinglas eine mehrtausend­jährige Kulturleistung der Menschheit genieße, die mit der Kultivierung der ersten wilden Weinrebe ihren Anfang nahm und mit dem köstlichen Getränk in meiner Hand ihre bisherige Vollendung findet.

Der Kulturwissenschaftler Seefelder hatte in einem einzigen Satz den weiten Bogen unserer kulturellen Entwicklungsgeschichte aufgespannt und das Thema Kultur in größere, in vielfältigere Zusammenhänge gestellt. Damit eröffnet sich der Blick auf die Kultur von einer ganz anderen Seite.

Um an dieser Stelle falschen Rückschlüssen zu begegnen: Das soll keinesfalls heißen, wir würden beim Bezirk Niederbayern die Kunst außer Acht lassen. Nach wie vor fördern wir alle möglichen Kunst­sparten (über unsere Kultur­stiftung): Ausstellungen, Konzerte, Theater­projekte, Lesungen, Publikationen. Wir unter­stützen das „Theater an der Rott“ in Eggenfelden und beteiligen uns an der Bayerischen Musik­akademie in Alteglofsheim. Zusammen mit den drei Kreisfreien Städten Niederbayerns unterhält der Bezirk das Landestheater Niederbayern.

Seit 25 Jahren schicken wir jeden Sommer unser KULTURmobil mit darstellender Kunst übers Land. Wir fahren damit hinaus zu den Menschen. Und mit unseren jährlichen „Wirtshauslesungen“ betreiben wir eine unkonventionelle Literatur­pflege und bringen Schriftgut und Dichtkunst unter die Leute.

Wir fördern das Museum Moderner Kunst in Passau. Mit großer Beteiligung von bildendenden Künstlerinnen und Künstlern veranstalten wir regelmäßig den Aktionstag „Ateliers in Nieder­bayern“. Unser Kulturreferat dokumentiert seit Jahren die „Kunstwerke im öffentlichen Raum“ Niederbayerns mit einer eigenen Website und zugehöriger App.

Und erst vor kurzem hat der Bezirksausschuss die Einrichtung einer „Artothek“ beschlossen – eine Einrichtung, aus der sich Bürgerinnen und Bürger zukünftig Kunstwerke von regionalen Künstlern (zeitlich befristet) ausleihen können, die sich im Sammelbestand des Bezirks Niederbayern befinden. Diese Artothek wird voraussichtlich 2024 ihren Betrieb aufnehmen.

Über dieses Engagement in Sachen Kunst hinaus kommen wir unserem Kulturauftrag nach, indem wir als Mitglied im „Zweckverband Nieder­bayerische Freilichtmuseen“ das ländliche Wirtschaften und Wohnen dokumentieren. Wir bezuschussen die Instandsetzung von Baudenk­malen, fördern ebenso nichtstaatliche Museen aus der Region, (die überwiegend kulturgeschichtlich ausgerichtet sind), und vieles andere mehr.

Maßstab für die Kulturarbeit des Bezirks Niederbayern ist eben ein „weiter Kulturbegriff“.

Genau in diesem Punkt unterscheidet sich die „Kultur- und Heimat­pflege“ einer regionalen Gebietskörperschaft wie des Bezirks Nieder­bayern von städtischen Kulturreferaten – vor allem von groß- und hauptstädtischen mit ihrem Fokus auf das, was in den etablierten Kunst- und Musentempeln geboten wird – also jene Kunstsparten, die man gemeinhin als „ Hoch­kultur“ bezeichnet.

Kulturarbeit, wie wir sie für die Region als wichtig erachten, zeigt sich aber anders, vielfältiger. Zum Beispiel im Zusammenspiel von „Religion, Glaube, Bräuchen und Traditionen“ – Themen, die im großstädtischen Kulturbetrieb kaum vorkommen werden, aber in der regio­nalen, in der heimatlichen Kulturpflege eine wesentliche Rolle spielen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die vielen Traditions­vereine. Denken wir auch an die zahlreichen Begriffe, die wir so selbstverständlich benutzen. Wir sprechen zum Beispiel von Bau- und Wohnkultur, Kleidungskultur, Sprachkultur, Nahrungskultur und vor allem: von Kultur­landschaft. Die Summe all dieser Phänomene und vieles mehr prägen unsere Kultur- und Lebensweise. Ja, nicht nur das: All dies verleiht uns unsere Identität und macht uns zu dem, was wir sind: zu kultivierten Menschen – selbst wenn die meisten unter uns keine Künstlerinnen oder Künstler sind.

Wie ich bereits angedeutet habe: Die modernen Kulturwissenschaften haben einen „engen Kulturbegriff“ überwunden – einen, der Kultur auf Hochkultur, Kunst und ästhetische Werte reduziert. Kultur im umfas­senden Sinne ist das vom Menschen Geschaffene und Gestaltete im Gegensatz zu dem, was von Natur aus vorhanden ist.

Das Wort „Kultur“ leitet sich bekanntlich vom lateinischen colere ab. Das heißt übersetzt „ pflegen, urbar machen“. Und das lateinische Wort cultura bedeutet „Landbau, Veredelung von Ackerboden“. So gesehen zählt die Rodung von Land – auch hier sprechen wir bezeich­nender­weise von Kultivierung – zu den ursprünglichsten aller menschlichen Kulturleistungen. Daher der Begriff „ Kultur-Land­schaft“. Kultur-Land­schaften wiederum zeichnen sich durch jahrhundertelang kultivierte Pflanzengesellschaften und Bauten aus, die sich von Land zu Land, ja von Region zu Region unterscheiden und auch unserer Heimat ihr typisches Gepräge, ihr Landschaftsbild, verleihen.

Somit erachten wir Kulturlandschaftspflege als eine kulturelle Leistung – eine vorbildliche Kulturlandschaftspflege sogar als eine solche, die uns auszeichnungswürdig erscheint.

So sah dies auch die Kulturpreisjury, als sie im Mai dieses Jahres tagte und die „ Interessens­gemeinschaft biozertifiziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR“ zum Kulturpreisträger bzw. um „korrekt“ zu sein: zur „Kulturpreisträgerin“ kürte.

Ich habe heute die Ehre, den Kulturpreis 2022 des Bezirks Niederbayern an das Ehepaar Maria und Peter Gruber, das diese Interessens­gemein­schaft vertritt, zu überreichen.

Gestatten Sie mir auch hierzu ein paar Anmerkungen:
Wie Sie alle wissen, haben die Römer in den ersten fünf nachchrist­lichen Jahrhunderten entlang der Donau, diesseits des sogenannten „nassen Limes“, unsere Gegend besetzt und mannigfaltig ihre Spuren hinterlassen. Sie haben z. B. unseren Sprachschatz enorm beeinflusst. Viele Begriffe in unserer Sprache sind lateinische Lehnwörter: Ob nun der Ziegel (tegula), das Fenster (fenestra) oder – weil wir im Bairischen nicht vom „Brötchen“ sprechen – die Semmel (simila). Diesen sprach­lichen Einfluss habe ich auch mit der Herkunft des Begriffs Kultur (von colere und cultura) bereits anklingen lassen. Was die römischen Besatzer ebenso nach Germanien importierten, war der Obstanbau, der sich in der Folge hierzulande etablieren konnte.

Insbesondere der Lallinger Winkel erwies sich durch seine von drei Seiten geschützte, aber dennoch von südlichen Föhnwinden begünstigte Lage als ideales Obstanbaugebiet. Aus guten Gründen wird Lalling als die „Obstschüssel Niederbayerns“ bezeichnet. Der Obstanbau hat hier eine lange Tradition. Er reicht bis ins frühe Mittelalter zurück.

Obst ist seit jeher eine wichtige Vitamin- und Energiequelle, und die Obstzucht trägt enorm zur Bereicherung des Speisenangebots bei. Weil die Nahrungsmittelversorgung stets ein zentrales Thema war, gab es schon seit dem Mittelalter Versuche, die Produktion und Nutzung pflanzlicher sowie tierischer Rohstoffe zu optimieren. Diese Optimie­rungs­versuche wurden in der Frühen Neuzeit, insbesondere seit der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert, zunehmend intensiver verfolgt. Die Auslöser hierfür waren nicht zuletzt drei vorangegangene katastrophale Hungerkrisen (zwischen 1739 und 1772). Die Aufklärung war nicht nur eine philosophisch-geistige Aufbruch-Bewegung, welche die Nachwehen des Mittelalters mit seinem Aberglauben zu über­winden trachtete. Sie war das verstandesbetonte Zeitalter und die Epoche der aufblühenden Naturwissenschaften.

Alle Bereiche des Lebens sollten jetzt neu betrachtet und voran­ge­bracht werden – vor allem auch die Landwirtschaft. Die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von der „Ökonomischen Aufklärung“. Sie stellte eine der bedeutendsten „Innovationskulturen“ des 18. Jahr­hunderts dar. Ihr Ziel war es, agrarische Erkenntnisse und Neuerungen in territorial, regional oder lokal definierten Wirtschafts­räumen zu fördern, um deren Produktion aus eigenen Kräften zu stärken. Doch dazu musste erst einmal das Expertenwissen unter die Leute gebracht werden. Dieser Aufgabe, nämlich der Landbevölkerung ebenso wie den Entschei­dungsträgern in den Territorialverwaltungen neue Produktions­methoden näher zu bringen, verschrieben sich Gelehrte, Landbesitzer und aufgeklärte, naturwissenschaftlich gebildete Dorfpfarrer. Sie konnten lesen, hatten Zugang zur agrarisch-ökonomischen Literatur, unmittelbaren Kontakt zur bäuerlichen Bevölkerung und spielten daher bei der Wissensvermittlung eine ganz entscheidende Rolle. Gegen­stand der Bemühungen waren Düngemethoden, Kultivierungsmaß­nahmen von Ödland, Fruchtwechselsysteme, Viehzucht, Futter­kräuter­anbau, Bienenzucht, die Bekämpfung von Viehseuchen und Schäd­lingen, Weinbau, Obst- und Gartenbau, Wetterbeo­bachtungen und forstwirtschaftliche Themen. Ökonomische Sozietäten, naturforschende Gesellschaften, Landwirtschaftliche Ver­einigungen, Pomologen-Vereine und viele andere Zusammenschlüsse schossen jetzt wie Schwammerl aus dem Boden. Mit heutigen Worten gesagt: Es wurden Informations-, Vermittlungs- und Interessens-Netzwerke gegründet.

In Lalling war man schon bald am Puls der Zeit. Ganz der aufklä­rerischen Kulturarbeit folgend wurde in Lalling bereits im frühen 19. Jahr­hundert Unterricht in der Obstpflanzung erteilt. 1861 eröffnete die Distriktbaumschule Lalling. 1896 erfolgte die Gründung des örtlichen Pomologenvereins, der sich heute – wiederum zeitgemäß – „Verein für Gartenbau und Landespflege im Lallinger Winkel“ nennt. 1905 wurde ein „Schul-Mustergarten“ mit über 100 Obst- und Spalierbäumen angelegt. Dass Deggendorf 1905 zum Amtssitz für den für Nieder­bayern zuständigen „Kreis-Obstbau- Wanderlehrer“ erkoren wurde, ist auf die Nähe zum Lallinger Winkel und seine Obstkultur zurückzu­führen. Lalling hieß man damals das „Meran des Bayerischen Waldes“. Im 20. Jahrhundert war Lalling mehrmals Austra­gungs­ort von Regionen übergreifenden Obstausstel­lungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der Ort „Musterobstbaugemeinde“ werden und eine moderne Obst­sortierhalle erhalten.

Doch infolge der internationalen wirtschaftlichen Entwicklung gab es alsbald herbe Einbrüche auf regionaler Ebene zu verzeichnen: Obst-Importe aus dem europäischen Ausland führten zum Rückgang und Bedeutungsverlust des lokalen Obstanbaus. Die Modernisierung und Spezia­lisierung der Landwirtschaft in den 1970er-Jahren tat ihr Übriges, als – u. a. im Zuge der Flurbereinigung – für unnütz befundene Streuobstwiesen gerodet und aufgeforstet wurden.

Allerdings ließ auch in diesem Fall die Gegen­bewegung nicht lange auf sich warten. Schon in den 1980er Jahren versuchten sich die Lallinger Obsterzeuger im biologischen Obstanbau. Damit war man wieder am Puls der Zeit, wenn nicht sogar seiner Zeit voraus. Und als die EG in den 1990er Jahren den Streuobstanbau förderte, nutzte Lalling diese Chance zum Neustart: Tausende Obstbäume wurden gepflanzt. Die Arbeitsgemeinschaften „Hundinger Gold­berg­bauern“ und „Lallinger Streuobst“ entstanden. Als Botschafterin der Lallinger Obstbau-Kultur wird seit 1994 jährlich die einzige Mostkönigin Deutschlands gekürt. Heute stehen im Lallinger Winkel mehr als 9.000 Streuobstbäume auf einer Gesamtfläche mit 120 ha, auf der 15 neue und 30 alte Apfel­sorten wachsen. Darunter so seltene Sorten wie „Fromms Goldrenette“ und „Sommermaschanzker“. Und eine Apfelsorte gibt es tatsächlich nur in Lalling: den Lallinger St. Gunther-Apfel.

Vielleicht erinnern Sie sich, was ich vorhin in Bezug auf alte Land­tier­rassen sagte. Dasselbe gilt auch für alte Apfelsorten: Sie sind – ebenso wie Kunstwerke und Denkmale – von Menschen geschaffenes und damit im Wortsinn lebendiges Kulturgut.

An dieser Stelle ließe sich sinnigerweise über den Apfel als Symbol in der Kulturgeschichte referieren. Ich belasse es bei einer kurzen Auf­zählung. Er gilt als Symbol für Liebe, Glück, Fruchtbarkeit, Schönheit, Weiblichkeit, Weisheit und Vollkommenheit. Dass der Apfelbaum nicht nur der Baum der Versuchung war, sondern der „ Paradiesbaum“ ist, wissen wir aus dem Buch der Bücher, der Bibel. In seiner zum soge­nannten „Paradeisl“ stilisierten Form war er im bayerisch-alpen­ländischen Raum der Vorläufer von Adventskranz und Christbaum. In der Gemeinde Lalling, deren Wappen selbstredend nichts anderes als ein Apfel zieren kann, lebt die wunderbare und nutzbringende Tradition des Obstbaus bis heute fort.

Freilich sei nicht verschwiegen, wie aufwändig die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen ist, wie schwankend die Erträge im Vergleich zum Anbau in Obstplantagen sein können. Weil sich noch bis vor wenigen Jahren der Obstanbau für manchen Obstwiesen-Eigentümer als wenig rentabel zeigte und viele Bäume zu verwildern drohten, mussten Lösungen gefunden werden.

Die einzig sinnvolle und richtige Lösung bestand in der Inwertsetzung der Streuobstwiesen durch den Anbau von Bio-Produkten. So kam es 2014 zur Gründung der „IG [ Interessensgemeinschaft] bio-zerti­fi­ziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR“. Das war der erste Zu­sam­menschluss dieser Art in Bayern. Dass dieses Projekt trotz zahlreicher Hürden umgesetzt werden konnte, ist der Beharrlichkeit und Ent­schlossenheit seines Ersten Vorsitzenden Peter Gruber zu verdanken.

Heute besteht diese Interessensgemeinschaft aus 27 bio-zertifizierten Streuobstbauern. Sie bewirtschaften in den Gemeinden des Lallinger Winkels und angrenzenden Kommunen ca. 40 ha Fläche mit etwa 1.700 Obstbäumen. Neben gesundem und köstlichem Tafelobst wird von der ebenfalls bio-zertifizierten Kelterei in Künzing ein – auch für Allergiker geeigneter – naturtrüber Bio-Apfelsaft hergestellt. Verkauft wird das Natur-Produkt auf Märkten, Bio-Höfen, in Gast­stätten und im lokalen Einzelhandel. Produktion, Verarbeitung und Vermarktung führen zur erwünschten regionalen Wertschöpfungskette. Demnächst sollen auch die Produktion und der Vertrieb von Apfelschorle, Most und Essig anlaufen. Das Altholz der Obstbäume wird bisher als Material im Kunsthandwerk verwendet. In einem weiteren Schritt soll es von einem Schreiner zu Möbeln verarbeitet werden.

Die „IG [Interessensgemeinschaft] bio-zertifi­ziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR“, vertreten durch Maria und Peter Gruber, geht neue Wege und erhält dabei die alte Tradition des Obstanbaus auf Streuobst­wiesen. Zugleich leistet sie damit einen ebenso wertvollen Beitrag zur Pflege und zum Erhalt unserer heimischen Kulturlandschaft.

Die IG hat sich der Ökologischen Landwirtschaft verschrieben. Mit ihrer extensiven und umweltschonenden Form der Bewirtschaftung ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldüngern trägt sie auf dieses Weise zum Natur- und Artenschutz und zur Biodiversität bei.

Ihre Kooperation sowohl mit wissenschaftlichen Institutionen wie der Hochschule Weihen­stephan-Triesdorf, mit unserem bezirkseigenen Obstversuchsgut in Deutenkofen als auch mit Streuobstbauern in Bayern, Baden-Württem­berg, Österreich und Tschechien sowie mit regionalen Gartenbauvereinen, Arbeits- und Interessens­gemein­schaften zeugt nicht nur von einem guten Netzwerk, sondern von regionaler und internationaler Anerkennung in der Geschichte, Tradition und Kompetenz des Obstanbaus. Es ist also nur eine logische Konsequenz, dass Lalling seine diesbezüglich herausragende Stellung mit der Ansiedlung eines Streuobstwiesen-Kompetenzzentrums, das erneut auf der Initiative von Peter Gruber gründet, bestätigt bekommt und unterstreicht.

Die besondere Kulturlandschaft in und um Lalling ist auf zahlreichen Wanderwegen erlebbar und somit auch für den Tourismus von Bedeutung.

Darüber hinaus bietet Maria Gruber Führungen durch Streuobstwiesen an: durch den „ Streu­obst­erlebnispfad“ bei Panholling sowie den sogenannten „Königinnengarten“. Sie engagiert sich im Rahmen von Kinderferienprogrammen und des Grundschulunterrichts. Dadurch macht sie die heimischen „Streuobstwiesen“ zum Lernort für jährlich Hunderte von Kindern. Das ist beispielgebendes umweltpädagogisches Wirken.

Es gibt also viele Gründe, der „IG bio-zertifi­ziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR“, vertreten durch Maria und Peter Gruber, Respekt und Anerkennung zu zollen und diese mit einem Preis auszuzeichnen. Für den Bezirk Nieder­bayern ist es die vorbildliche Kulturland­schafts­pflege verbunden mit all den Initiativen und Aktivitäten, die ich hier zu skizzieren versucht habe.

Sehr geehrtes Ehepaar Gruber, sehr geehrte Damen und Herren der „„IG bio-zertifiziertes Streuobst Lallinger Winkel GbR“,

ich bewundere Ihren Ideenreichtum, Ihr Engagement und gratuliere Ihnen allen zum verdienten Kulturpreis 2022 des Bezirks Niederbayern.

Zeitungsartikel im Straubinger Tagblatt vom 17.11.2022

Straubinger Tagblatt

Bericht im Straubinger Tagblatt vom 17.11.2022
Zeitungsartikel im Plattlinger Anzeiger vom 17.11.2022

Plattlinger Anzeiger

Bericht im Plattlinger Anzeiger vom 17.11.2022
Zeitungsartikel in der Passauer Neuen Presse vom 17.11.2022

Passauer Neue Presse

Bericht in der Passauer Neuen Press vom 17.11.2022
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